Rohrbach - Zug von Zwangsarbeiter*innen

Bericht von Eugen Motsch im Rohrbacher Heimatbuch II von 1985

„Wie schlecht es erst den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen erging, das sollten wir bald erfahren. An einem … Herbsttage nämlich wurden alle Gefangenenlager geräumt, und ein schier endloser Zug von arbgearbeiteten Menschen bewegte sich von St. Ingbert her durch unsere Straße nach der Geistkirch zu und weiter nach Osten. Die Menschen, abgerissen, arm und entkräftet, ausgehungert und aufs äußerste erschöpft, wurden von den Wachsoldaten, die links und rechts den Zug begleiteten, immer wieder mit Drohungen und Schlägen vorwärtsgetrieben… Wir sahen Männer, die im Zusammenbrechen waren und sich auf dem Boden setzen wollten. Sie wurden jedoch mit Rufen und Fußtritten wieder aufgejagt und weitergeschubst. Wir sahen, wie zwei Männer einen ihrer Kameraden, dessen Beine nicht mehr gehorchen wollten, in die Mitte nahmen und mitschleiften. Plötzlich stand einer der Gefangenen vor uns. Er hatte sich in einem unbewachten Moment aus dem Staube gemacht, war um die Ecke geschlüpft und hatte sich damit den Blicken seiner Bewacher entzogen. Der Mann trug einen langen Mantel mit ausgebeulten Taschen, in denen er wohl seine Habseligkeiten verstaut hatte. Sein Gesicht, braun und stoppelbärtig, bestand aus tausend Falten. Seine Beine waren spindeldürr, und er wankte, als er sich zu uns Kindern herabbückte und mit zitternder Hand einen unförmigen Klumpen dieser gelblich-braunen Kernseife uns unter die Nase hielt, dabei ununterbrochen mit der anderen Hand das Zeichen des Essens machend. Wir zeigten auf unser Haus, und er folgte uns… (Er) blieb vor unserer Mutter stehen, die starr am Herd stand. ‚Kinder was tut ihr mir an! Wir werden alle ins KZ kommen! Ihr wisst doch, daß es verboten ist, den Gefangenen etwas zu geben!‘ ‚Er hat Hunger!‘ ‚Welch ein Armer Mensch!‘ Sie nahm ihm die Seife aus der Hand, die er ihr förmlich aufdrängen wollte und öffnete den Küchenschrank, in dem ein kleiner Rest Brot lag. Sofort biß der Mann in seinem Hunger hinein und kaute … ‚Führt ihn in den Keller, und gebt ihm ein paar Kartoffeln. Laßt ihn zur Kellertür wieder hinaus. Wenn euch jemand sieht, müßt ihr sagen, daß ich von der Sache nichts wüßte. Welch arme Menschen, welches Elend.‘ ‚Dieser Krieg!‘ Sie flüsterte diese Worte nur. Der Mann stopfte sich Kartoffeln in seine Tasche. In eine Kartoffel biß er hinein und aß sie roh. Sodann verließ er unseren Hof und tauchte wieder vorsichtig auf der Straße auf, sich dem Zug seiner Landsleute erneut anschließend…“

Zitierte Literatur:

  • Hans Henning-Krämer, Der Feind als Kollege – Kriegsgefangene und ausländische ZwangsarbeiterINNEN, in: Beiträge zur Regionalgeschichte, Heft 15, 1993, S. 19f.

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